"Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Hier kannst Du Dein Riffbecken in Wort und Bild vorstellen und Deinen Anamnesebogen uploaden. Dann können wir Dich und Dein Riffbecken langfristig begleiten.
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Jörg Kokott
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Jörg Kokott »

Hi
Kann ich den Sand bedenkenlos tauschen ohne einen enormen Eingriff in die Beckenbiologie zu verursachen ?
Naja, definiere "Beckenbiologie"!

Das schlimmste, was passieren kann, ist, dass Dein Boden stark nährstoffhaltig und v.a. anoxisch ist und Du beim Absaugen daher mögliche Schwefelwasserstoff (H2S)-Vorräte plötzlich freisetzt oder eben Nährstoffe freisetzt die sich dann ggf. als Nitrat und Phosphat wieder im Wasser ansammeln. H2S bzw. Sulfid ist giftig und es kann etwas dauern bis sich das wieder zu ungefährlichem Sulfat in der Wassersäule hochoxidiert. Das hat aber nichts mit Beckenbiologie zu tun, sondern mit einer akut schädigenden Substanz v.a. für Wirbeltiere wie Fische. Die können dann arge Probleme bekommen und hier gibt es auch seit jeher bekannte "Unfälle", wenn man ungestüm in einem hohen Bodengrund rum wühlt oder den zu schnell auf einmal absaugt. Wenn Du nur eine dünne Sandschicht hast, wird das aber nicht passieren, weil eine dünne Sandschicht sauerstoffhaltig (oxisch) ist.

Der Boden an sich ist aber anteilig für die sog. "Beckenbiologe" eher unbedeutend. In meinen derzeitigen Anlagen hab ich gar keinen Bodengrund und in Zuchtanlagen oder Verkaufsanlagen i.d.R. auch nicht. Ich betreibe eine Zuchtanlage komplett nur mit Lichtrasterplatten, ohne Steine ohne nix, nur Korallen. Soviel zum Thema "Beckenbiologie". Das ist so ein Begriff, der wird gerne verwendet und keiner weiß eigentlich, von was er genau spricht bzw. was damit gemeint ist.
Einzig die bekannten mikrobiologischen Stoffwechselprozesse Nitrifikation, Denitrifikation, Desulfurikation, etc. könnte man unter dem Begriff versammeln, wobei "Beckenbiologie" eben viel mehr ist, als nur das! Die Koralle und viele andere Organismen wirken mit ihrer Nährstoffaufnahme und ihrem Konkurrenzwachstum ganz extrem im Bereich Beckenbiologie.

Nitrifikation ist auf jedem oxischen Substrat im Becken etabliert, sogar auf den Scheiben. Wenn Du den Sand absaugst, wird das Dein Becken womöglich nicht mal merken, wenn Du nicht gleichzeitig die Ammoniumbelastung des Beckens veränderst, weil die Nitrifikationsleistung von allen anderen Oberflächen kompensiert wird.
Denitrifikation - sollte die überhaupt im Boden stattfinden, dann würde sich nach dem Entfernen des Bodengrunds Nitrat mit der Zeit im Wasser anreichern, sofern auch hier keine Kompensation durch andere denitrifizierende Orte ergibt, bzw. Stickstoff nicht anderweitig umgesetzt und verbraucht wird (Korallenwachstum, heterotrophes Bakterienwachstum, etc.). Aber die meisten Böden arbeiten nicht mal anaerob und daher gibt es auch keine Denitrifikation. Ich halte die Denitrifikation im Becken selbst auch je nach Gestaltungsmaterial für teils gar nicht existent bis allenfalls vernachlässigbar. Problematisch bei der Denitrifikation ist aber, dass sie eben von Nitrat abhängig ist. Wenn Du tatsächlich ein anaerob arbeitendes Milieu hättest, und dort Nitrat fehlt, dann nutzen viele Bakterien Sulfat als Elektronenakzeptor und dabei entsteht dann der durchaus toxische Schwefelwasserstoff. Weitergedacht spricht das wiederum für eine zu hohe organische Belastung im Boden (ohne organische Kohlenstoffquelle würden solche heterotrophen Prozesse gar nicht ablaufen) sowie für eine mangelhafte Beströmung des Bodens. Beides sind keine guten Zustände, weil sich das auf das gesamte Becken auswirkt, mit einem zu niedrigen Redoxpotential, einem zu hohen biologischen Sauerstoffbedarf und ggf. auch mit Rücklösungen von Nährstoffen ins Wasser (dauerhafte Phosphatprobleme, daher auch dauerhafter Einsatz von Adsorber).
Da müsstest Du so oder so ran und den Bodengrund austauschen, weil Dein Becken langfristig darunter leider würde.

In vielen Fällen ist sogar die "Bodenbiologie", so nenne ich das jetzt mal, ungünstig oder schlecht für das übrige Becken. Viele Becken würden besser stehen, hätten sie weniger Bodengrund oder gar keinen. Die oben genannten negativen Einflüsse wie biologischer Sauerstoffbedarf, Redoxpotential etc. sind für viele Sandbettsysteme typisch. Die meisten Aquarianer denken, sie packen Sand in ihr Becken und laut Lehrbuch hätten sie dann was gutes gemacht, Denitrifikationsstellen geschaffen, etc. Das ist ziemlicher Unsinn, der Bodengrund ist v.a. die "Mülldeponie" für ein Becken, durch Sickerprozesse (Eintrag von partikulären Nährstoffen), Ansammlung von Mulm, Sauerstoffzehrung, etc.

Andere mikrobiologische Prozesse sind eher untergeordnet zu bewerten, sofern sie überhaupt stattfinden.

Also, um die Frage nochmal zu beantworten, sofern Du ein oxisches Substrat hast mit einer normalen Beladung mit organischen Ablagerungen wird Dir da überhaupt nichts passieren, wenn Du den Sand absaugst. Ist der Bodengrund sehr verschmutzt und zudem von der Schichtdicke her > 2 cm, dann würde ich erstmal nur die oberste Schicht absaugen, damit die darunterlegenden, potentiell anoxischen Zonen sauerstoffhaltig werden und sich die Prozesse daher ins aerobe umkehren. Das dauert in der Regel nur wenige Stunden oder 1-2 Tage, dann kannst Du die nächste Schicht absaugen.

Informationen dazu findest Du auch zum Thema Bodengrund in den SEA-Z.
Gruß,
Jörg
Florian
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Florian »

Hallo Jörg,

Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort, das muss ich glatt 3 Mal lesen :D
Aber klasse, dass Du es so ausführlich erklärst, ich möchte ja auch versehen!

Weiterer Plan: mehrere große Ww mit frischem Salz, und paralleles vorsichtiges (teilweises) Absaugen des Bodengrunds. Dieser ist bei mir im Schnitt zwischen 2-3cm.

Ich Berichte von der Entwicklung!

Grüße

Flo
Florian
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Florian »

Liebe Leute, hallo Jörg,

Ich habe ein akutes Problem: nachdem ich mir aufgrund des Verdachtes, dass meine Tests nicht genau sind, die Fauna Marin Multirferenzlösung geholt habe, heute das ernüchternde Ergebnis:

Po4: 0,05 gemessen, soll 0,2 mg/l (Hanna 736)
No3: 5 gemessen, soll 10mg/l
Kh: 6,4 gemessen, soll 6,7
Mg: 420-440 gemessen , soll 420
Mg: 1380 gemessen, soll 1312

Heißt, am "genauesten" sollen die Tests von JBL sein, (mg und ca), welche als Schrott gelten... Oder kann auch die Lösung schlecht sein? (vor 3 Tage gekauft).

Jetzt aber die Hiobsbotschaft: wenn alle Tests zu niedrig messen, messe ich nach dem teilweisen Absaugen des Bodengrundes, aufgrund möglicher Schwermetalle (30%) plötzlich Po4 = 0.29!!! ( salifert und Hanna 736).

Das ist ja viel zu hoch, was soll ich tun? Tiere stehen bisher gut da! Adsorber habe ich ebenfalls Bedenken...

Gruß Flo
hypocampo

Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von hypocampo »

Nur kurz Flo....bin auf dem Weg ins Nachtlager...
Nichts überstürzen!
Und... der Unterschied von Hanna zu der Referenz kann nicht sein, wenn alles korrekt ablief...

schreibst ja Tiere stehen gut.... nicht nur messen sich schauen....
Wieso schickst du nicht ne Probe zu Gilbers zur Analyse?
Florian
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Florian »

Hall Dani,

Danke für Deine Rückmeldung! Deshalb suche ich hier um Rat, bevor ich in Aktionismus ausbreche :D

Multireferenz:
Also die Abweichung ist schon da. Ich habe drei Tests mit der Referenz nach Anleitung (hanna 736) gemacht.

Sprich: Blindprobe mit der zu testenden Flüssigkeit, dann Reagenz dazu, 2 Min. vorsichtig schwenken bis gelöst, dann den Timer starten und nach 3 min. Phosphorwert ablesen, umrechnen, fertig.... Immer in etwa das gleiche Ergebnis... 0,05 und 0,07, sollte aber 0,2 lt. Referenz sein.

Becken:
Mit dem Salifert Tröpfchen sowie mit dem Hanna 736 dann bei BeckenMessung 0,29. :!: :|

Gruß Flo
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Jörg Kokott
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Jörg Kokott »

Hi Flo,

ich kann Dir da jetzt auch nicht genau helfen, wie Dani schon sagt, das Becken zeigt Dir ja an, ob Du einen Notfall (in Anlehnung an Deine email) hat oder nicht. Wenn Dein Becken gut steht, ist das auch kein Notfall und Du kannst die Tests in Ruhe überprüfen. Auch eine Multireferenz kann man problematisch sein, v.a. hinsichtlich Phosphat, was ggf. nicht so stabil ist in solchen Lösungen.

Eine Laborprüfung wäre eine gute Idee, natürlich solltest Du die Probe zuhause dann auch messen um die Werte zu vergleichen.

Ggf. ist auch die Handhabung der Tests ein Problem, ich würde hier mehrere Messungen hintereinander machen, um die Werte auf Reproduzierbarkeit hin zu überprüfen.
Gruß,
Jörg
Florian
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Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Florian »

Hallo Jörg,

vielen Dank für Deine rasche Antwort! Meine Sorge besteht darin, durch den akuten Anstieg des Po4 zeitnah meine Korallen zu verlieren... Ich denke, dass dieser im Boden steckte. (habe ja abgesaugt).

Richtig, bisher stehen alle Korallen gut, die Frage ist, wie schnell sich das "drehen"kann. Spricht etwas gegen einen vorsichtigen Einsatz von Adsorber auf Eisenbasis und einem parallelen endgültigen Austausch des Bodengrundes (Der Teil, welcher nicht unter den Steinen liegt...) ?

Danke und viele Grüße

Flo
hypocampo

Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von hypocampo »

Hallo Flo

Es spricht nichts gegen den Einsatz von Adsorber... bedenke einfach diesen gut auszuspühlen und dann den Po4 nicht zu schnell abzusenken!
Florian
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Registriert: Sonntag 22. November 2015, 15:37

Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Florian »

Nun nach etwas Zeit, ein kurzes Update, man soll ja auch berichten wenn es besser läuft, nicht nur wenn nicht... :mrgreen:

Nachdem ich nun Sangokai Basis 3+2 und Nutri Complete in der 4. Woche nutze, stehen die Korallen langsam besser. Es sind erste Wachstumsränder an den Baselscheiben erkennbar, allein die Montiplatten stehen nicht besonders gut dar. (bleich und fast weißlich).

Nachdem der Po4 Wert zwischenzeitlich durch den Bodengrundwechsel auf 0,29! mg/l gestiegen war, ist er nun wieder auf 0,00 (n.n.) gesunken (gemessen Hanna 736). Daher auch mein Frage: Kann (sollte) ich trotz Sangokai etwas Phosphat-Lösung dosieren, um eine Nachweisbarkeit zu schaffen, oder wird alleine durch die Basisversorgung plus N-Complete, genug Po4 eingetragen ?

Ich habe noch die Verluste der letzten Limitierung im Kopf, und bin bei dem Thema Po4 = 0 etwas sensibilisiert ;)
Foto 1 Kopie.jpg

P.S. Die metallischen Gegenstände sind komplett entfernt und die Tiere stehen besser, A-Kohle nun im Dauereinsatz.


Viele Grüße

Flo
Oliver
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Registriert: Samstag 19. September 2015, 20:50

Re: "Glasige" Korallen und schlechtes Polypenbild

Beitrag von Oliver »

Morgen Flo,

nach den Farben der Korallen zu Urteilen besteht bei deinem Po4 Gehalt auf jeden Handlungsbedarf. Diesen solltest du unbedingt anheben, aber bloß nicht zu stark weil dir sonst die Korallen das Gewerbe abwerfen. Max. auf 0,01 mg/l und nicht mehr.
Die weißen Montiplatten über der Milka sind tot, die kannst du raus tun.

Hast du den Po4 Wert mittels Adsorber so weit runtergeholt und läuft der jetzt noch mit ?
Gruß Oliver

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